HILFREICHE TIPPS, MIT DENEN DU DEINEN ANTRAG AUF KOSTENÜBERNAHME VON GESCHLECHTSANGLEICHENDEN MAßNAHMEN VORBEREITEN KANNST
CN: Pathologisierung, Binäre Darstellung von Geschlecht
Der Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen ist für nicht-binäre Personen besonders schwierig. Ende 2020 wurde von der Bundesvereinigung für gesetzliche Krankenkassen eine Verordnung an die Krankenkassen herausgegeben, die besagt, dass nicht-binäre Personen nicht den Diagnosekriterien des ICD-10 entsprechen. Deshalb sind sie von allen medizinischen Maßnahmen ausgeschlossen. Nachdem ich 2 Jahre lang mit meiner damaligen Krankenkasse wegen der Kostenübernahme meiner Mastektomie gestritten habe, wurden mir alle bis dahin erfüllten Kriterien wieder aberkannt und die Kostenübernahme endgültig abgelehnt. Die Kriterien kannst du hier nachlesen (Triggerwarnung für das gesamte Dokument). In diesem Beitrag findest du hilfreiche Tipps, die helfen können deinen Antrag für die Krankenkasse vorzubereiten und die Chancen zu verbessern, dass der Antrag bewilligt wird.
1. Mach eine Psychotherapie
Eine psychologische Behandlung ist eine der Grundvoraussetzungen für die Krankenkasse. Dadurch soll sichergestellt werden, dass du tatsächlich eine trans* Person bist und keine psychische Störung vorliegt. Dir ist sicher schon klar ist, wie deine Geschlechtsidentität aussieht und welche geschlechtsangleichende Maßnahme du dir wünschst. Trotzdem ist eine Therapie empfehlenswert. Therapeutische Unterstützung hilft dir dabei, dich selbst besser kennenzulernen und zu verstehen. Außerdem lernst du deine dysphorischen Gefühle besser zu verarbeiten und das Warten auf die Bewilligung der Maßnahmen erträglicher zu gestalten. Achte dabei darauf eine trans*freundliche Person zu finden. Gesetzliche Krankenkassen fordern meist eine 1-1,5 Jahre lange psychiatrisch psychotherapeutische Behandlung.
2. Sei bereit für einen Besuch beim MDK
Bei den meisten Kostenübernahmefällen von nicht-binären Personen beauftragt die Krankenkasse einen externen Träger, der sich mit der Begutachtung befasst – der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK). Dieser spricht eine Empfehlung für deinen Fall aus. Auf dieser Grundlage trifft deine Krankenkasse ihre Entscheidung über geschlechtsangleichende Maßnahmen. Der MDK untersucht alle Unterlagen und auch dich. Bei dieser Untersuchung spricht ein*e unabhängige*r Psycholog*in mit dir über deine Geschlechtserfahrung, deine Dysphorie sowie deine Lebensumstände und untersucht deinen Körper. Mach dich hier bitte auf einen unangenehmen Termin gefasst. Nimm dir zur Unterstützung eine vertraute Person mit.
3. Denke darüber nach, ob eine Hormontherapie für dich in Frage kommt
Möchtest du Testosteron oder Östrogen einnehmen, um deinen Körper maskuliner oder femininer zu gestalten? Überleg dir diese Entscheidung gut. Eigentlich heißt es, dass eine Hormontherapie keine Voraussetzung für chirurgische geschlechtsangleichende Maßnahmen sein darf. Dennoch ist es ein Kriterium, das die Begutachtung des MDK vorgibt. Falls dies für dich nicht in Frage kommt, sprich mit vertrauten Ärzt*innen darüber, welche medizinischen Gründe vorliegen könnten, die eine hormonelle Behandlung ausschließen. Hormone bekommst du für gewöhnlich auf Rezept ohne Antrag. Geh dazu zu einer*m Endokrinolog*in. Manche Gynäkolog*innen dürfen auch Testosteron verschreiben.
4. Sprich mit Ärzt*innen
Je nachdem um welche Art von medizinischer Maßnahme es sich handelt, muss vorab geklärt werden, ob es medizinische Einwände (z.B. hormonelle Störungen oder Vorerkrankungen) gibt, die eine Operation eventuell ausschließen. Such dir eine*n Ärzt*in mit entsprechendem Fachwissen. Bei mir war dies eine trans*freundliche Gynäkologin, die auch meine Hormonbehandlung durchführt. Sie hat mir in einem Schreiben bestätigt, dass eine “Transsexualität” vorliegt und einer Mastektomie nichts im Wege steht. Sie bestätigte, dass der Eingriff für mich eine Verbesserung bedeutete.
5. Lass dich von Ärzt*innen aufklären
Es ist wichtig, dass du über die Risiken des jeweiligen Eingriffs oder der Behandlung aufgeklärt bist. Lass dir auch den Heilungsprozess erklären. Die Krankenkasse wird nach einer Bestätigung deiner Aufklärung fragen. Such dir außerdem Menschen, die dich nach einem eventuellen operativen Eingriff unterstützen können. Ich war bei 3 verschiedenen Chirurgen und ließ mir bescheinigen, das ich über die Operation aufgeklärt wurde. Es ist nicht notwendig mehrere Kliniken zu besuchen. Finde einfach eine*n Ärzt*in, bei der*dem du dich wohl fühlst und du genug Vertrauen hast, dass das Ergebnis der Behandlung oder Operation deinen Wünschen entspricht.
6. Bereite deinen trans* Lebenslauf vor
Während des Kostenübernahmeverfahrens wirst du wahrscheinlich von mehreren Personen oder Institutionen dazu aufgefordert einen Lebenslauf vorzulegen, der die Entwicklung deines Geschlechts wiedergibt. Beschreib dabei, wie du dich gefühlt hast, während du aufgewachsen bist und woran du deine Geschlechtsidentität erkennst. Erkläre weshalb geschlechtsangleichende Maßnahmen für dich unumgänglich sind. Dabei ist es wichtig auf konservative Geschechtsmerkmale zurückzugreifen. Erwähne beispielsweise maskulin konnotierte Spielzeuge (Autos, Actionfiguren, Lego etc. – insbesondere wichtig für die Mastektomie) oder feminin konnotierte Kleidung (Kleider, pinke Jacken, rote Schuhe etc.). Wir wissen, dass das Bullshit ist, aber leider hält die Gesellschaft daran fest, dass dies die Dinge sind, die angeblich Geschlecht ausmachen würden.
7. Suche dir Psycholog*innen für Gutachten
Es ist üblich, dass die Krankenkasse die geschlechtsangleichende Maßnahme nicht direkt bewilligt. Manchmal fragt sie nach weiteren Gutachten von Psycholog*innen. Dabei soll die trans* Diagnose (F 64.0) bestätigt werden. Diese befragen dich zu deiner Kindheit, wie du aufgewachsen bist und zu deiner Sexualität. Achtung! Die Fragen werden unangenehm. Es gibt einige Psychotherapeut*innen, deren Honorar einigermaßen tragbar ist und die bei dem Gutachten darauf achten, dass sie Formulierungen finden, von denen du profitieren kannst und die Krankenkasse eher dazu bringen die Kosten deiner geschlechtsangleichenden Maßnahme zu tragen.
8. Informiere dich über Gerichtsbeschlüsse
Einige nicht-binäre Personen sind mit ihren Ablehnungsbescheiden über geschlechtsangleichende Maßnahmen vor das Sozialgericht gegangen, um die Kostenübernahme einzuklagen. Diese Urteile können dabei helfen deine Argumentation gegenüber der Krankenkasse zu verbessern. Mit Zitaten daraus kannst du mehr Druck auf die Krankenkasse ausüben, da die Gerichtsverfahren so gut wie immer zugunsten der Patient*innen entschieden werden.
9. Pretend to be what you’re not
Diesen Tipp gebe ich nur ungern, da er dem widerspricht, womit wir alle strugglen und was wir versuchen unserem Umfeld klarzumachen. Gib vor eine binäre trans* Person zu sein. Das ist schmerzhaft, aber wahrscheinlich der hilfreichste Tipp. Da alle Krankenkassen derzeit angewiesen sind geschlechtsangleichende Maßnahmen für nicht-binäre Personen abzulehnen, könnte es dir einen Vorteil verschaffen bei deinem Geschlecht zu lügen. Der MDK verweist darauf, dass es für nicht-binäre Personen keinen “Standardkörper” gibt. Es sei nicht klar, an was der Körper genau angepasst werden soll. Falls Lügen hier für dich in Frage kommt, möchte ich noch hinzufügen eventuell deine*n Therapeut*in einzuweihen und zu bitten, dich dabei zu unterstützen. Sei dabei bitte vorsichtig, denn nicht jede Person ist offen dafür das System auszutricksen.
10. Wenn nichts hilft, frag deine Community
Sollte die Krankenkasse trotz all diesen Tipps und etlichen Widersprüchen und Schreiben deinen Antrag auf geschlechtsangleichende Maßnahmen ablehnen, dann bleibt dir nur noch die Klage oder eben die Kosten selbst zu tragen. Natürlich ist es nicht einfach so viel Geld zusammen zu bekommen. Du kannst jedoch versuchen Spenden zu sammeln, um zumindest einen Teil zu finanzieren. Dabei kannst du beispielsweise die Website Gofundme nutzen und dort eine Kampagne aufsetzen. Diese kannst du dann mit deinen Friends und auf Social Media teilen.
Diese Tipps stammen aus meiner individuellen Erfahrung mit der BKK ProVita und dem MDK in Berlin. Die Krankenkasse hätte der Kostenübernahme meiner Mastektomie übrigens jederzeit auch ohne die Empfehlung des MDK zustimmen können, denn ich hatte alle geforderten Kriterien erfüllt, bis auf die „falsche“ Diagnose (dass ich nicht trans* sei), die mir der MDK unterstellt hat (die Diagnose F 64.0, die mehrere Ärzt*innen und Psycholog*innen vorab bereits bestätigt haben). Ich musste am Ende die Kosten selbst tragen und habe mich deshalb verschuldet. Dieser ganze Prozess ist sehr demütigend und diskriminierend gewesen. Davor würde ich sehr gerne jede Person bewahren. Hoffentlich wird es für kommende Antragsteller*innen leichter werden. Vielleicht klappt es ja mit einem neuen Selbstbestimmungsgesetz, das die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag versprochen hat. Ich wünsche es mir sehr.
Vielen Dank für diese Informationen! Mein Deutsch ist nicht das beste, deshalb hatte ich Mühe, Informationen zu finden, und stieß auf Ihre Website.