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Falsche Anreden

FALSCHE ANREDEN: ZWISCHEN WUT UND OHNMACHT

CN: misgendern, deadnaming

Binäre Anreden, die mich nicht mitdenken, erzeugen Verletzungen. Dieser Text handelt von der Verzweiflung und Resignation. Von den Coping-Versuchen. Und von der Unterstützung, die ich mir wünsche.

Gelesen werden

Ich werde sehr oft falsch gelesen. Als nicht-binäre Person scheint mir das auch fast unvermeidlich. Denn unsere Gesellschaft denkt eben in Binaritäten, in Bezug auf Geschlecht in Frau-Mann, männlich-weiblich. Kein Platz für ein Dazwischen oder Außerhalb. Falsch gelesen zu werden resultiert oft auch in einer falschen Anrede, einem falschen über mich reden.

Hier möchte ich nun einmal aufdröseln, was das in verschiedenen Situationen in mir auslöst, und meine Umgangsformen damit aufzeigen.

Formulare und Trotz

Viele Online-Formulare für Bestellungen oder Corona-Schnelltests zwingen uns, eine Anrede anzugeben. Ich habe absolut keine Ahnung, wieso. Das ist in den meisten Fällen wirklich überhaupt nicht relevant. Da so Sachen wie Anrede und Personenstand auch ab und zu mal gemischt werden, gibt es manchmal die Option „divers“. Lange Zeit habe ich geglaubt, dass ich die nicht ankreuzen dürfte, weil das nicht mein Personenstand ist (noch nicht). Aber mittlerweile wähle ich diese Option mit einer Mischung aus Impostor-Syndrom, der damit einhergehenden Angst „entlarvt“ zu werden und Stolz aus. Und vielleicht ein bisschen Trotz. Richtig trotzig werde ich aber, wenn nur „Frau“ und „Herr“ zur Auswahl stehen. Und weil ich ja ständig fälschlicherweise als weiblich eingeordnet werde, mache ich dann was richtig Krasses: Ich wähle „Herr“ aus. Ist zwar auch absolut nicht zutreffend, aber trotzdem gibt es mir ein Gefühl des Triumphs. Haha, das habt ihr jetzt davon!

Telefonhotlines und Resignation

Ich hasse telefonieren. Aber hin und wieder muss es halt sein. Kürzlich habe ich meine Bank gewechselt und da die Bank wirklich sehr langsam auf Mails reagiert (wenn überhaupt), bedeutet das meistens, dass ich 10 Minuten in der Warteschleife hängen muss, bevor überhaupt mal irgendwas passiert. Immerhin hat meine neue Bank meinen dgti Ausweis akzeptiert, sodass mein richtiger Name und eine geschlechtsneutrale Anrede im System hinterlegt sind. Bevor meine Account-Informationen aufgerufen wurden, werde ich anhand meiner Stimme dennoch als weiblich eingeordnet und dementsprechend angesprochen. Neulich habe ich es geschafft, direkt bei der ersten Anrede als „Frau [Nachname]“ um eine Anrede mit Vor- und Nachnamen zu bitten.

Das ist aber längst nicht immer der Fall. Meistens lasse ich es einfach über mich ergehen. Insbesondere wenn es sich um Stellen handelt, die ich nicht regelmäßiger anrufen muss und nur ein kurzes Telefonat erwarte, mache ich das Fass nicht auf (RW1). Es findet immer eine Abwägung statt: Wie viel Energie würde es mich grad kosten, die Person am anderen Ende der Leitung zu verbessern? Und wie anstrengend ist es grad, falsch angesprochen zu werden? Hält die Person am Telefon es für kund*innenorientiert, mich sehr oft beim Namen anzusprechen oder tut sie das kaum? Das Dilemma mit der Häufigkeit ist natürlich, dass es unangenehmer wird, je häufiger ich falsch angesprochen werde. Aber je häufiger es in einem Telefonat bereits passiert ist, desto seltsamer kommt es mir vor, die Person noch zu verbessern. Das ist sehr frustrierend.

Wenn wo eine Zuordnung zu meinen persönlichen Daten nicht notwendig ist, erwähne ich meinen Namen nun einfach nicht mehr. Das hilft tatsächlich. Es wäre aber natürlich schön, wenn Menschen einfach aufhören würden, anhand meiner Stimme mein Geschlecht erraten zu wollen.

Arbeit und Frustration

Auf der Arbeit folgt am Ende der meisten E-Mails, die ich versende, meine Signatur. Dort stehen meine Pronomen und wie ich angesprochen werden möchte. Schade, dass viele Menschen, die Mailsignaturen nicht lesen, weil in der akademischen Welt dort meistens nur irgendwelche Titel und aktuelle Projekte stehen. Andere Personen wiederum neigen dazu, mich nur korrekt zu adressieren, wenn Sie auf eine Mail von mir antworten, die meine Signatur hat. Wenn Sie hingegen von sich aus eine Mail schreiben oder bei einer direkten Antwortmail von mir keine Signatur am Ende steht, fallen Sie zurück in ihre Gewohnheit. (Es folgt Sarkasmus.) Es scheint unglaublich schwer zu sein, sich zu merken wie eine Person angesprochen/angeschrieben werden möchte. Verständlich, in der akademischen Welt hat da jede Person andere Bedürfnisse. Und sich das von allen zu merken, ist einfach unmöglich.

Es frustriert mich sehr, wenn Personen meine Mailsignatur nicht lesen und mich deshalb falsch adressieren. Denn die nötige Information ist doch direkt vor ihnen. Meistens füge ich meine Signatur immer wieder trotzig am Ende jeder Mail ein. Irgendwann wird die Person sie schon lesen, hoffe ich. Vor ein paar Tagen habe ich eine Person zum ersten Mal explizit auf meine Signatur hingewiesen. Daraufhin kam dann die (halbwegs) korrekte Anrede. Das tat sehr gut. Aber auch hier habe ich nicht immer die Kraft. Oder es scheint sich nicht zu lohnen, wenn kein regelmäßiger Mailaustausch mit der betreffenden Person zu erwarten ist.

Familie, Trauer und Ohnmacht

Ja, Familie. Schwieriges Thema. Ist ja bei vielen Queers so. Bei mir also auch. Erst vor ein paar Tagen war ich bei einem Teil meiner Familie. Ich hatte mich davor sehr gefreut und im Zuge dessen irgendwie ausgeblendet, welche Verletzungen ich dort auch erfahre. Ständig wurden die falschen Pronomen verwendet. Immer wieder rutschte mein Deadname raus und der Person fiel es nicht mal auf. Einmal habe ich mein Pronomen verbessert. Allerdings so leise, dass es niemand hörte. Das ist leider der Normalzustand.

Bei der Familie schmerzt es einfach nochmal anders. Und richtig doll. Denn das sind ja Menschen, wo eine Beziehung dazukommt. Ich weiß, dass es niemand böse meint. Die meisten bemühen sich wirklich. Und ich weiß, dass ihnen mein Wohlergehen am Herzen liegt. Aber sie verkacken es halt auch alle so oft. Wie kann ich das zusammenbringen? Diesen Akt des Misgenderings und Deadnamings und das Wissen, dass diese Menschen mich schätzen?

Misgendert zu werden, fühlt sich nämlich gar nicht wie Wertschätzung an. Wirklich null. Und weil ich weiß, dass diese Menschen es nicht böse meinen, sich halbwegs bemühen und mich schätzen, fällt mir das Verbessern viel schwerer. Es kommt mir vor, als wäre es ein direkter Angriff. Als würde ich nur auf einen Fehler warten, um mit dem Finger darauf zu zeigen. Das ist doch schon absurd. Denn die Verletzung und der Angriff (wenn auch nicht intentional) richten sich ja eigentlich gegen mich. Aber dennoch bleibt das Gefühl. Es ist als würde ich die Bemühung der Anderen nicht schätzen, zu viel erwarten, mich zu sehr zentrieren. Dabei weiß ich, dass ich ein Recht darauf habe. Ich habe ein Recht darauf, richtig angesprochen zu werden, nicht verletzt zu werden. Und auch meine Familie hat die nötigen Informationen.

Vermeintliche Safer Spaces und Wut

Es gibt so Orte, da rechne ich nicht damit, misgendert zu werden. Weil sich am Anfang alle mit Pronomen vorstellen. Und weil es politische Räume sind, denen ich eine gewisse Sensibilität zuschreibe. Aber hin und wieder passiert es dann halt doch. Und das trifft mich dann natürlich jedes Mal ganz unerwartet. Im ersten Moment kann ich es meistens gar nicht glauben. Ich denke, ich hätte mich verhört. Aber es ist wirklich passiert und ich habe richtig gehört.

Wir haben uns in einem dieser Räume darauf geeinigt, kollektiv Verantwortung dafür zu tragen, zu unterbrechen, um zu verbessern. Sodass die Verantwortung nicht immer bei der Person liegt, die misgendert wird. Das tut schon gut. Aber es bleibt jedes Mal ein krasser Schmerz. Vor allem weil ich dachte, dass ich in diesem Raum sicher wäre. Dass ich da nicht ständig auf der Hut sein müsse und meine Mauern hochfahren müsse (RW), weil ich Verletzung schon erwarte.

Ich probiere danach meistens, das abzuschütteln, mich abzulenken, mich nicht zu krass davon runterziehen zu lassen. Aber das ist gar nicht so einfach. Das Gefühl kommt halt doch immer wieder. Ich überlege dann meistens, eine Weile nicht mehr in dem Raum zu verkehren. Aber es ist mir auch wichtig, dort zu sein. Und ich will mich nicht vertreiben lassen oder meinen Verletzungen erliegen. Ich will stark sein und Präsenz zeigen. Dann baue ich mit der Zeit auch wieder Vertrauen auf. Bis es dann irgendwann wieder passiert. Und wieder erwischt es mich ganz unerwartet. Fuck!

Was machen wir jetzt mit all diesen Geefühlen?

Ich finde toll, mutig, empowernd, wenn ich oder andere Menschen bei der Verwendung falscher Pronomen und Anreden verbessern. Aber dafür ist halt nicht immer die Kraft da. Und das ist völlig okay. Ich glaube, dass das Verbessern bei einigen Menschen zu mehr Sensibilität und Offenheit führen kann und dadurch vielleicht auch andere trans* und nicht-binäre Menschen profitieren. Aber unsere Sicherheit steht an erster Stelle. Und wir müssen auch auf uns selbst und unsere Ressourcen achten. Sonst haben wir irgendwann keine Kraft mehr, gegen dieses System anzukämpfen.

Wo es möglich ist, finde ich es hilfreich und wichtig, die Verantwortung zu verteilen. Insbesondere cis Personen, die sich als Allys verstehen, sollten verbessern, auf Fehler hinweisen, etc. Was mir auch immer sehr hilft, ist psychischer Beistand. Am besten von Personen, die die Situation mitbekommen haben.

Zum Thema Sicherheit ist aber auch wichtig hinzuzufügen, dass das Verbessern durch Dritte zu einem ungewollten Outing führen kann. Wenn ihr also als Ally handeln wollt, solltet ihr euch also unbedingt vorher erkundigen, ob das für die falsch angesprochene Person in dem Kontext in Ordnung/hilfreich ist!


1 RW = Redewendung

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